Interview mit Thomas Bornheim – Geschäftsführer, 42 Heilbronn GmbH

Interview mit Thomas Bornheim – Geschäftsführer, 42 Heilbronn GmbH

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Hallo Thomas,

stell dich doch bitte einmal vor:

„Thomas Bornheim, 48 Jahre alt. Ich lebe mit meiner Freundin und unseren beiden Söhnen seit 2020 in Heilbronn. Davor habe ich als Analyst für Google in Irland, Indien und den USA gearbeitet. Und davor habe ich Literatur, Geschichte und Philosophie in Berlin studiert.“

Und wie wird man mit so einer Vita dann Geschäftsführer einer Coding-School?

„Man gründet eine. Oder man wird berufen. Um eine solch mutige Schule in Deutschland zu eröffnen, braucht man ein grobes Verständnis verschiedener Bereiche. Mir hilft mein Verständnis für Kommunikation und ihre Analytik. Dass ich bei Google jahrelang in der Produkt-Betreuung und in der Unterstützung strategischer Projekte & Themen gearbeitet habe, hilft auch.“

Im Kontrast zu unserem herkömmlichen Bildungssystem ist die Eröffnung einer solchen Schule mutig und ohne deine gesammelten Erfahrungen wahrscheinlich auch schwer möglich umzusetzen. Nimm uns mal mit in deinen Alltag. Wie sehen deine Aufgaben als Geschäftsführer deiner Coding- School aus?

„Sie sind sehr vielschichtig, erfordern Herz & Hirn. Das geht von Problemen im Gebäude (feuchter Keller) zu Schwierigkeiten mit dem Produkt oder der IT (Systemausfälle), zu Mitarbeiterführung, Teamorganisation, Marketingmeetings und Produktpräsentationen. Kein Tag ist wie der andere.“

Somit unterscheiden sich deine Tätigkeiten fürs erste nicht von denen anderenFührungspersönlichkeiten. Aber was ist denn dann das Besondere an der 42 Heilbronn im Vergleich zu den üblichen Bildungseinrichtungen?

„Bei uns lernt man 100% unabhängig von äußeren Strukturen. Die Arbeit ist projektbezogen. Man löst die Aufgaben notfalls mit der Hilfe anderer. Am Ende stellt man sein Projekt nacheinander drei Mitlernenden vor. Lernende bei uns lernen selbstwirksam zu sein, und wie es ist, mit anderen zusammen zu arbeiten. Manchmal, weil es toll funktioniert. Manchmal, weil man muss.“

Also werden die Lernenden anhand praktischer Tätigkeiten gezielt auf Ihre berufliche Praxis vorbereitet. Ganz anders als an Hochschulen oder Universitäten, wo theoretische Fähigkeiten eher im Vordergrund stehen. An was genau arbeiten die Schüler der 42 Heilbronn?

„Wir bieten den Lernenden 13 verschiedene Projektstufen an. In jeder Stufe löst man eine komplexe Programmieraufgabe. Das kann etwa eine Sudoku-Lösemaschine sein, bei der die Lernenden einen rekursiven Algorithmus schreiben müssen.“

Spannend! Kommt es hier auch vor, dass Ihr Algorithmen für künstliche Intelligenz programmiert und trainiert?

„Algorithmen für künstliche Intelligenz kann man bei uns im Mastery-Bereich lösen. Das ist interessant für unsere Lernenden, die das Grundstudium abgeschlossen haben.“

Wie kann sich der Laie das Programmieren und Trainieren von künstlicher Intelligenz vorstellen?

„Ich bin kein Fan davon, diese Tätigkeit zu mystifizieren. Es ist viel harte Arbeit, und Du fühlst Dich oft etwas allein – weil niemand anders die Probleme versteht, die Du gerade löst. Du probierst alles Mögliche aus, und bist die meiste Zeit damit beschäftigt, Deine Daten zu prüfen, und besser zu verstehen, was Du da eigentlich gerade von den größten Rechenzentren der Welt ausrechnen lässt. Spoiler Alert: die zu erwartende Antwort sollte 42 sein. Sonst waren die Daten nicht gut genug.“

Das klingt in der Tat nicht sehr mystisch, ganz im Gegenteil! Wenn du bereits das Thema Daten ansprichst. KI und Daten sind immer wieder Begriffe die häufig in Kombination auftauchen. Welche Art von Daten benötigt man, um KI erfolgreich einzusetzen, und wie wird sichergestellt, dass diese Daten korrekt und aktuell sind?

„Man braucht eine größere Menge an Daten, als die meisten Menschen denken. Man braucht am besten eine größere Menge an Daten, als sich die meisten Menschen vorstellen können. Und die Daten müssen strukturiert sein, das heißt, sie müssen ein lesbares Format haben und ihre Quelle muss eindeutige und fortlaufend geprüfte Ergebnisse liefern.“

Wow. Das kann also theoretisch bedeuten das Trainieren von künstlicher Intelligenz hört nie auf, da ständig neue Daten auftauchen, die berücksichtigt werden sollten. Angenommen Anwender haben sich für ein „fertiges“ System entschieden. Wie aufwendig ist die Integration von KI in bestehenden Systemen und Prozesse bei einem Kunden?

„Es ist sehr schwer, eine verallgemeinernde Antwort zu geben. Dafür ist die Welt der KI- Anwendungen zu vielschichtig. Die Chance von KI liegt viel eher darin, die bestehenden Systeme und Prozesse grundlegend zu hinterfragen – und nicht einfach KI anzuknipsen. In der Optimierung liegt nicht immer ein Mehrwert, der über den Einsatz der Optimierungsressourcen hinausgeht. Für die Unternehmen sollte die Entwicklung von neuen Produkten und Geschäftsmodellen interessant sein, und die Möglichkeit einer technologischen Akquise, wie es etwa in den USA oder UK üblich ist.“ 

Das bedeutet, wenn Unternehmen bspw. KI im Handel einsetzen, können Sie hiermit neue Potenziale offenlegen und so die Chance erhöhen neue Geschäftsmodelle oder – bereiche zu entdecken. Wie kann KI dann gezielt dabei helfen, sich von Wettbewerbern abzuheben?

„Ich habe 14 Jahre im Ausland bei einem Erfolgskonzern gearbeitet. Aus meiner Erfahrung ist in innovativen Wirtschaftsbereichen der übermäßige Fokus auf den Wettbewerb eine Ablenkung von den eigenen Stärken. Das Wichtigste ist, dass man weiß, was man richtig

gut macht. Wofür das eigene Produkt steht. Darauf muss sich ein Unternehmen konzentrieren. Es ist dabei auch wichtig zu verstehen, dass sich große Unternehmen nicht alle 5 Jahre neu erfinden können. In etablierten Unternehmen wird Innovation gern in eine Abteilung ausgegründet. Ein kleines Projektportfolio durch das Unternehmen zu tragen, erzeugt aber keine Innovation.“

Der Fokus auf die eigenen Stärken sollte somit Abgrenzung genug vom Mitbewerber bieten. Nutze ich künstliche Intelligenz im Handel oder anderen Branchen sollte ich mir jedoch Gedanken über die Korrektheit der Aussagen machen. Wie zuverlässig sind die Vorhersagen und Empfehlungen, die KI auf Basis ausgewählter Daten machen kann?

„Das kommt auf drei Dimensionen an. Zum einen braucht man Daten, die von hoher Qualität und sehr aussagekräftig sind. Daran fehlt es meistens! Die beiden Hauptdimensionen der Antwortqualität sind Kreativität in der Antwort und die geforderte Genauigkeit des Fragenden. Eine generative KI kann ein literarisches Märchen produzieren. Aber sie ist schlecht darin, mathematische Gleichungen zu lösen. Dafür kann eine statistische KI funktionierende Formeln in Datenmeeren finden, die für unseren Verstand nicht mehr nachvollziehbar sind. Aber: auch die besten Vorhersagen bringen einem Unternehmen nichts, das Lernen nicht in seiner DANN hat.“

Beim Begriff Datenmeer muss ich instinktiv an die Dezimalstellen von Pi denken. Diese könnten von Mathematikern sicherlich einfach mit statistischer KI ausgewertet werden und eindeutiger auf mögliche Anomalien hindeuten. Aber was passiert, wenn die KI falsche Empfehlungen gibt? Wie erkennt man solche Fehler frühzeitig und korrigiert sie?

„Auch ohne KI ist diese Frage schon schwer zu beantworten. War die Entscheidung einer Konzernführung, X und nicht Y zu tun, richtig oder falsch? Eine KI als Chefstrategen einzusetzen, halte ich für eine interessante, aber dauerhaft für keine gute Idee. Stärker noch als in unserer heutigen Welt wird es die Rolle von Führungskräften sein, das Lernen in Organisationen zu gewährleisten und Feedback Loops (Situationen, in denen Unternehmenszweige sich nur noch um sich selbst drehen) zu vermeiden.“

Das klingt für mich danach das „Soft-Skills“ wieder eine zentralere Rolle im Alltag einnehmen werden, wenn Führungskräfte persönliche Weiterentwicklung garantieren sollten. Nun bringt jede Person wie auch jedes Geschäftsmodell seine ganz individuellen Eigenschaften mit sich. Wie lassen sich dabei KI-Lösungen an spezifische Anforderungen und Bedürfnisse anpassen?

„Indem man an allen Ecken und Enden der KI-Lösung optimiert. Datenerzeugung, Datenverarbeitung, Einsatz probabilistischer Modelle, semantische Prüfung der Ergebnisse. Das ist eine herausfordernde Arbeit, die viel praktische Erfahrung erfordert. Die Absolventen der Eliteuniversitäten sind meistens geschockt, wie es in den großen Unternehmen der Welt hinter den Kulissen aussieht. Nicht viele Unternehmen sind technologisch weit über dem Stand einer halb-flexiblen Tabellenkalkulation.“

Wenn all diese Modifikation und Überarbeitungen abgeschlossen sind, sollte ich im Optimalfall eine KI-Lösung haben, die auf meine unternehmerischen Bedürfnisse abgestimmt sein sollte. Wie schnell kann nach der Implementierung von KI ein positiver Return on Investment (ROI) erwarten werden?

„Das kommt auf den Optimierungsbereich an, und lässt sich auch dann leider nicht so einfach ausrechnen. Allein das Team, das eine solche Implementierung auf den Wert überprüft, wird etwa 2-3 Mitarbeitende umfassen, die das Problem strukturieren, quantifizieren und qualifizieren. Bei einer einfachen “Implementierung” wird es nicht so leicht sein, diesen Wert überhaupt nachzuweisen. Wer über den Einsatz jeglicher Form von Intelligenz nachdenkt, hat keine leichte Aufgabe und trägt Verantwortung.“

Verantwortungsbewusst sollte man allemal mit künstlicher Intelligenz umgehen. Gerade in Bezug auf potenzielle Risiken. Welche gibt es beim Einsatz von KI im Handel, insbesondere in Bezug auf Datenschutz, IT-Sicherheit oder Fehlprognosen, und wie können diese minimiert werden?

„Es gibt viele Risiken in diesen Bereichen. In einem lernenden Unternehmen sollten erfahrene Führungskräfte ausreichend darüber urteilen können, ob und inwiefern digitale Werkzeuge einem Unternehmen strategisch bei der Wertschöpfung helfen und wie groß Risiken und Hindernisse sind. Es ist nicht notwendig, jedes Wort der Gesetzgebung zu kennen. Aber die Prinzipien hinter den Gesetzen sollten auch Führungskräfte verstehen (etwa das “need to know”-Prinzip beim Datenschutz).“

Der Datenschutz ist in jedem Unternehmen eine große Herausforderung. Vor allem wenn KI im Einzelhandel eingesetzt wird und verschieden Kundendaten hierzu genutzt werden. Was meinst du was sich kleine und mittelständische Unternehmen von den „Großen“ und Ihren Ansätzen zur Nutzung künstlicher Intelligenz abschauen könnten?

„Traditionell ist der Mittelstand agiler und schneller im Einsatz neuer Technologien als ein Großkonzern. Wenn ein Mittelständler sich etwas von großen Unternehmen abschauen muss, ist er eigentlich in einer prekären Lage. Für mich liegt das strukturelle wirtschaftliche Problem in Deutschland eben hier vergraben. Viele Mittelständler haben sich auf Optimierungen für wenige Kunden eingeschossen. Für Zulieferer ist die Herausforderung nun immens, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Sich neu aufzustellen und ein Produkt zu entwickeln,das für eine größere Kundengruppe interessant ist, ist schwierig. Dabei kann KI nur bedingt helfen.“

Eine Fülle an Nischenmärkten bedeutet folglich viele spezifische Anforderungen, die von wenigen Zulieferern abgebildet werden müssen, um im Wettbewerb mitzuhalten. Sie stehen folglich unter enormem Entwicklungsdruck. Abseits der vielen Unternehmen nutzen selbstverständlich auch Privatpersonen KI. Kannst du uns verraten, wo in deinem beruflichen Alltag KI nicht mehr wegzudenken ist und für was du Sie nutzt?

„Ich nutze KI vor allem, um mir Qualifizierungen von Vorgängen anzuschauen. Welche Faktoren sind wichtig für ein gelungenes Event? Was zeichnet eine erfolgreiche Community aus? Strukturierte Antworten dazu finde ich bei Google nur mit Mühe. Mir hilft KI auch bei Zwiegesprächen, etwa zu strategischen oder ethischen Fragestellungen. Ich habe hier ein eigenes kleines System für Gesprächs-Simulationen entwickelt. Für mich ist KI so wie das Holodeck im Raumschiff Enterprise. Nur ohne Bilder. Midjourney hingegen fasziniert mich undnutze ich oft als Inspirationsquelle, ist mir aber (noch) nicht immersiv genug.“

Wenn man die künstliche Intelligenz wie du Sie beschreibst als Gestalter von verschieden Szenarien betrachten, wie sieht dann ein mögliches Szenario der Zukunft aus? Inwiefern wird künstliche Intelligenz in den nächsten fünf bis zehn Jahren bspw. unseren Arbeitsalltag ändern?

„Meinen Alltag hat sie bereits verändert. Auf großer Bühne sind fünf bis zehn Jahre aber ein zu kurzer Zeitraum. Ich erwarte einen Wandel, der sich über 20-30 Jahre vollzieht. Analog zur Einführung von Online-Shopping wird es dauern, bis der Wandel sichtbar wird. Eine der großen Herausforderungen dabei wird eine zunehmende Polarisierung unserer Gesellschaft. Der Modellversuch Silicon Valley ist eine Utopie für Technologen, aber ein Alptraum für alle, die es nicht schaffen, mitzuhalten. Mit der Digitalisierung wird es auch in Deutschland mehr “high value labor” geben (Arbeitsbereiche, in denen Berufseinsteiger sechsstellig verdienen). Wenn hier Ballungsgebiete entstehen, braucht eine Gemeinschaft gute Verteilungsmechanismen,um langfristig fortschrittlich und erfolgreich zu sein. Zum Vergleich: das Umland von San Francisco beherbergt die wertvollsten Unternehmen der Welt. Das Bundesland Kalifornien erwartet bzw. plant mit einem Haushaltsdefizit von 68 Milliarden US Dollar im Jahr 2025. Die gesellschaftliche Armut und der Verfall sind in San Francisco deutlich sichtbar.“

Folglich könnte als zukünftiges Ballungsgebiet der Raum Heilbronn gesehen werden. An deren Spitze der Innovationspark für künstliche Intelligenz (IPAI) entsteht und den Einsatz und die Entwicklung neuer Technologien fördert. Wo Chancen sind, gibt es auch Herausforderungen. Diese Herausforderungen müssen angegangen werden, indem jedem Unternehmen der einfache Zugang zu künstlicher Intelligenz ermöglicht wird. Wenn auch Sie in Ihrem Unternehmen KI sinnvoll einsetzen möchten, um Prozesse zu automatisieren und effizienter zu gestalten, sind wir von ai Pro Solution der ideale Partner für Sie. Wir beraten Sie umfassend und praxisnah zu den besten KI-Lösungen für Ihr Unternehmen. Kontaktieren Sie uns gerne!